Muss das Finanzamt die herausgeben? LedererLaw erreicht geheime Entscheidung beim Bundesfinanzhof.
Bundesfinanzhof
19. Juli 2017
In-camera-Beschluss des Bundesfinanzhofs zur rechtswidrigen Weigerung des Finanzamts, Informationen über die Vollstreckung gegenüber Agenturen und Steuerberatern offenzulegen. Unsere Mandanten haben einen Anspruch auf Waffengleichheit!
Der Fall
Mit seinem Antrag macht der Kläger die Anordnung der Vorlegung ungeschwärzter Aktenteile des Finanzamts im Hinblick auf die Hinzuziehung und Haftungsinanspruchnahme Dritter geltend.
Der Antrag wurde in Rahmen einer Klage vor dem Finanzgericht München gestellt. Die angefochtenen Steuerbescheide basierten auf Ermittlungen der Steuerfahndung zu den sog. O2-Fällen. Dabei rechnet die Steuerfahndung München den freiberuflichen Ingenieuren das wirtschaftliche Eigentum an den Honoraren zu, die Agenturen für deren Tätigkeit an O2 in Rechnung stellten und auf Auslandskonten vereinnahmten. Die Rechtsfrage, ob das wirtschaftliche Eigentum an Zahlungen inländischer Endkunden an nicht domizilierte Agenturen einem Dritten auf Basis einer Wahrscheinlichkeitsbetrachtung gruppenbezogener Ermittlungserfahrungen unabhängig von Umfang und Zeitpunkt der Agenturzahlung an den Dritten und unabhängig von der Durchsetzbarkeit eines Zahlungsanspruchs des Dritten im Konfliktfall zuzurechnen ist, steht zu höchstrichterlicher Überprüfung an.
Streitig war ferner, ob die Festsetzungsfrist wegen Steuerhinterziehung auf 10 Jahre verlängert ist (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO). Im Einspruchsverfahren hatte das Finanzamt antragsgemäß die involvierten Agenturvertreter und Steuerberater hinzugezogen (§ 360 AO) und mit Haftungsbescheiden in Anspruch genommen (§§ 191, 71 AO).
Im Hauptsacheverfahren legte das Finanzamt dem Finanzgericht die Rechtsbehelfsakte mit geschwärzten Passagen und Leerblättern vor, die auf ausgeheftete Aktenteile hinwiesen.
Der Kläger beantragte nach Akteneinsicht die Vorlage jener geschwärzten und fehlenden Aktenteile.
Das Finanzamt und das beigeladene Bayerische Staatsministerium der Finanzen, für Landesentwicklung und Heimat verweigerten die Vorlage unter Verweis auf das Steuergeheimnis.
Die Entscheidung des Bundesfinanzhofs
Auf den Antrag des Klägers stellte der Bundesfinanzhof die Rechtswidrigkeit der Verweigerung der Aktenvorlage durch das Finanzamt fest.
Das Finanzamt sei zur Offenlegung vollständiger und ungeschwärzter Akten verpflichtet, soweit nicht durch das Steuergeheimnis geschützte Verhältnisse Dritter unbefugt offenbart werden (§ 30 AO). Dabei sei der Begriff des Verhältnisses teleologisch weit auszulegen. Er umfasse alles, was das Finanzamt über eine Person weiß, mithin sämtliche persönlichen, wirtschaftlichen, rechtlichen, öffentlichen und privaten Merkmale einer natürlichen oder juristischen Person.
Als Dritte im Sinne des § 30 AO seien auch Gesamtschuldner anzusehen. Der Kläger als Steuerschuldner und die Agenturvertreter und Steuerberater als Haftungsschuldner hätten für dieselbe Leistung aus dem Steuerschuldverhältnis einzustehen (§ 44 Abs. 1 AO). Insofern scheide eine Verletzung des Steuergeheimnisses aus, wenn die Offenbarung der Verhältnisse Dritter der Durchführung eines Steuerverfahrens dient. So liege der Fall hier.
Das Handeln der Haftungsschuldner könne die Frage beeinflussen, ob eine Steuerhinterziehung vorliegt und damit die Festsetzungsfrist zulasten des Steuerschuldners auf 10 Jahre verlängert wird.
Insofern sei die Einbindung der Agenturvertreter und Steuerberater in die steuerliche Beratung des Klägers bei der Klärung dessen vorsätzlichen Handelns relevant.
Aus diesem Grund verstoße die vollständige Vorlage der Akten des Finanzamts nicht gegen das Steuergeheimnis. Die darin enthaltenen Informationen über die Agenturvertreter und Steuerberater als Haftungsschuldner könnten für den gegen den Kläger gerichteten streitigen Steueranspruch erheblich sein. Diese stünden in konkretem Zusammenhang zur Streitfrage einer Steuerhinterziehung und einer insoweit verlängerten Verjährungsfrist.
Das sagt der Steueranwalt
Der Bundesfinanzhof hat die strengen Anforderungen an die Durchbrechung des Steuergeheimnisses in Fällen gesamtschuldnerischer Haftung vorliegend als erfüllt erachtet.
Im Kern geht es darum, dass das Verwaltungshandeln des Finanzamts insbesondere in den sog. O2-Haftungsfällen rechtswidrig ist. Soweit das Finanzamt überhaupt tätig wird und die Gesamtschuldner durch Haftungsbescheide in Anspruch nimmt, verweigert es regelmäßig die Herausgabe dieser Informationen an den Steuerpflichtigen unter Berufung auf das Steuergeheimnis. Dass es sich um ein und dieselbe Leistung aus demselben Steuerschuldverhältnis handelt, für die der Steuerschuldner und die Haftungsschuldner einzustehen haben, lässt diesen Einwand obsolet werden.
Das Grundrecht des Steuerpflichtigen auf Waffengleichheit gegenüber der Finanzbehörde ist unentziehbar.
Im Ergebnis ist entscheidend, dass die weit verbreitete Praxis des Finanzamts, Informationen über die Hinzuziehung und Haftungsinanspruchnahme Dritter dem Steuerpflichtigen gegenüber zurückzuhalten, Rechtsstreite wie vorliegenden provoziert. Es wäre zu begrüßen, wenn die Finanzbehörden diesem Umstand im Rahmen ihrer pflichtgemäßen Amts- und Ermessensausübung Rechnung tragen und dem Informationsbegehren des Steuerpflichtigen im Sinne eines kooperativen Steuerverwaltungssystems abhelfen.
Erfahren Sie mehr über das Recht auf Akteneinsicht gegenüber dem Finanzamt.
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